Cthulhu Erinnerungen.
Im Sommer 1984 starteten wir unsere erste Cthulhu Kampagne, die dann tatsächlich 12 Jahre, bis 1996, andauerte. Sagenhafte 34 Einzelabenteuer mit manch dramatischen Wendungen.
Was diese Kampagne von allen anderen Kampagnen die ich gespielt habe, unterschied, war die simple Tatsache das alle Spieler sich selbst spielten. Wir würfelten die Charaktere nicht aus, sondern basierten unsere gesamten Werte und Fähigkeiten darauf wie wir uns selbst und unsere Kenntnisse einschätzten. Die Tatsache das ich gerade zwei Jahre Bundeswehr hinter mir hatte, und als Uffz selbst Rekruten an der Waffe ausgebildet hatte, brachte mir gewisse Vorteile, und die Kenntnisse aus dem gerade begonnenen Jurastudium schadeten auch nicht.
CoC hat ein völlig anderes Spielgefühl, wenn man selbst gegen den Mythos antritt. In unserer Gruppe führte das dazu, das wir eine ungeheure Paranoia gegen alles Fremde entwickelten und das nach dem ersten Abenteuer jeder Mitspieler eigene Autoschlüssel besaß.
Des weiteren hatten wir nie ein Problem mit Sanity, weil wir jedes Buch oder Kultgerät sofort vernichteten, und uns niemals, außer wenn es gar nicht anders ging, Mythos Wissen aneigneten.
Schon das zweite Abenteuer, 1985, führte zu einem Massensterben der ursprünglichen Spieler, was in der Zukunft dazu führen würde das JEDER Spieler IMMER einen Autoschlüssel des jeweiligen Gruppenfahrzeugs mit sich führte.
In diesem Fall war die Gruppe gerade aus der Villa Bäcker entkommen, nur um dann RVAGs (das war noch vor der Verfilmung des Buches) zu begegnen. Leider war der Fahrer, und Besitzer des einzigen Autoschlüssels auch als erster auf einem Baum, was nicht zu seiner Beliebtheit und zum Ableben der restlichen Gruppe führte. Im Auto wären alle sicher gewesen.
Die absolut aussergewöhnlichste Szene erlebte unsere Gruppe 1985 auf einer unserer ersten Auslandsreisen. Nachdem wir eigentlich so ziemlich alles verbaselt hatten was zu verbaseln war, flüchteten wir mit einem gemieteten Ford Cortina (wie gesagt 1985) durch das schottische Hochland, als der Spielleiter einen Hooked Horror auf uns hetzte. Wir hatten uns bis dahin so außergewöhnlich blöd angestellt das der Spielleiter sich entschieden hatte uns endgültig den Rest zu geben. Der Hooked Horror (Lovecraft’sche Variante eines Drachen) landet also auf dem Dach unseres Wagens und versucht sich im Dosenöffnen.
Ich sass am Steuer und versuche durch wilde Lenkbewegungen das Biest abzuschütteln. Leider verlor ich dabei die Kontrolle über den Wagen und die Karre durchbrach die Begrenzung und stürzte in einen Abgrund. Eigentlich wäre das das Ende unserer wackeren Gruppe gewesen, wenn da nicht die Würfel gewesen wären…
SL (böse grinsend): Würfel mal ob du den Absturz irgendwie dämpfen kannst.
Ich würfle 1d100 = 01, ein kritischer Erfolg.
Der Spielleiter würfelt für den Hooked Horror = 00, ein kritischer Patzer.
Der Wagen dreht sich also in der Luft und landet auf dem Monster, das daraufhin ziemlich platt war, (hey wir haben gerade den Airbag erfunden) und sein, doch recht kurzes, Monsterleben beendete.
SL: Grummel. Ok, aber jetzt würfel mal was mit euch passiert.
Nochmal 01, kritischer Erfolg, der Wagen dreht sich nach dem weichen Aufprall erneut in der Luft und landet auf allen 4 Rädern. Die Spieler kommen mit dem Schrecken und dem Verlust von ein paar Sanitypunkten davon.
Spielleiter: OK, OK, ABER FAHREN TUT DIE SCHEISSKARRE NICHT MEHR…
Wirklich genial war dann 1986 unser erstes multimediales Abenteuer das auf der BBC Serie “Sapphire & Steel” (David McCallum und Joanna Lumley), Folge 1 “The Haunted House” basierte, bei dem der Spielleiter Audio und Video benutzte, ein echter Meilenstein. Beim Kinderlied “Ring a Ring of Roses” stellen sich mir heute noch die Nackenhaare auf.
Ziemlich eindrücklich war dann auch Sylt 1987, einer der seltenen Showdowns bei dem die Gruppe nicht anwesend war. Der Plan der Kultisten war das Öffnen eines Dimensionstores über dem versunkenen Rungholt, ein Plan der auch gelang, nur sank ihnen während der Beschwörung die Motorjacht, auf der die Beschwörung stattfand, unterm Hintern weg, weil wir die Lenzpumpe sabotiert hatten. So fanden dann die beschworenen Monster ein Buffet mit in der Suppe schwimmenden Kultisten vor.
Nach 18 Abenteuern war ich der letzte Überlebende der ursprünglichen Gruppe und durch einen dummen Patzer eines Mitspielers flog meine Tarnung auf und damit endete dann auch meine Karriere als Monsterjäger. Wie der SL mir dann mitteilte hatte ich immer noch über 20 Sanitypunkte.
Ich muss dem Spielleiter heute noch zu seiner Kampagne gratulieren, ich habe niemals wieder in einem vergleichbar epischen Werk mitgespielt. Das lag auch an ein paar seiner genialen Regelideen.
Eines der Probleme in Cthulhu ist es, das Spiel geheimnisvoll zu halten. Ein “Würfel mal ob du was bemerkst” ist so ziemlich der gröbste Zaunpfahl mit dem der SL darauf hinweist das gleich was passiert. Ziemlich kontraproduktiv wenn man eine geheimnisvolle Stimmung aufbauen und erhalten will.
Genauso ist es mit der Sanity, einen Spieler dazu aufzufordern einen Sanity Roll zu machen ist dem Gefühl des Spieles, des schleichend steigenden Irrsinns, ziemlich abträglich.
Der erste Aspekt ist das Würfeln.
Man kann natürlich als Spielleiter alles selber Würfeln, was aber für die Spieler frustrierend sein kann, schließlich möchte man einen Einfluss auf das Geschehen haben. Außerdem sieht man natürlich wenn der SL würfelt, kann sich also als Spieler danken das gleich was passiert.
Unser SL fand eine Lösung die für alle zufriedenstellend war. Jeder Spieler würfelte vor Beginn der Sitzung 10-20 Prozentwürfe, die Anzahl je nach geplanter Länge der Sitzung, und schrieb diese Zahlen auf einen Zettel, zusammen mit seinem Namen, und gab ihn dem SL. Jedesmal wenn im Spiel nun eine Probe gemacht werden musste, nahm der SL die nächste Zahl und strich sie danach durch. So wussten die Spieler nie, ob und wann etwas passieren würde. Dadurch wurde die Spannung im Spiel und auch die Aufmerksamkeit immens gesteigert, weil sich kein Spieler seiner Sache sicher sein konnte. Auf der anderen Seite kannten die Spieler natürlich die Zahlen, und wussten also ob sie in dieser Sitzung eher Glück oder Pech haben würden, was wiederum die Art wie sie spielten, stark beeinflusste.
Nur im Kampf oder bei aktiven Aktionen (Schloss knacken, etwas suchen, Autofahren, also alles was die Spieler aktiv angehen) wurde offen gewürfelt, weil das ja Handlungen waren, die man sehen konnte und auch die Auswirkungen (wie Wunden, Schäden) objektiv beurteilen konnte. Alles andere fand versteckt, ohne das Wissen der Spieler statt.
Der zweite Aspekt ist Sanity.
Sanity ist DER Aspekt der CoC von allen anderen Spielen unterscheidet. In unserer Kampagne, die über 10 Jahre lief wurde das aber besonders gehandelt. Der Spieler kannte seinen Sanitywert, den er beim Erstellen des Characters errechnet hatte. Das wars. Danach würde er den Wert, bis zum endgültigen Tod des Charakters, nicht wieder erfahren. Der SL führte Buch und machte (nach dem oben beschriebenen Verfahren) Sanity Rolls, und das einzige was der Spieler mitbekam waren die Effekte wenn er einen Roll nicht geschafft hatte, wie z.B. eine Panikattacke, und ähnliches. Aber er wusste niemals, wie geistig gesund er noch war, wusste nie ob ihn das Lesen eines bestimmten Buches in einen kichernden Irren verwandeln würde. Im Endeffekt führte das dazu das alle Spieler sehr langlebige Charaktere hatten, die nur ungern Risiken eingingen. Kein Powerplay, sondern sehr vorsichtiges Taktieren, weil ja niemand wusste ob und wann Konsequenzen kamen. Jedesmal wenn der SL anfing hinter seinem Schirm zu schreiben wurde die Gruppe nervös.
Nachbemerkung: Ich habe gerade überrascht festgestellt das Cthulhu NOW erst 1987 veröffentlicht wurde. Ich gehe deswegen davon aus, das die Idee aus einem White Dwarf Artikel kam. WD war damals das, bei weitem, beste Rollenspielmagazin auf dem Markt, mit genialen Szenarios für viele Spielsysteme. Erst viel später sollte es zu einer reinen Werbepostille von Games Workshop verkümmern.